Die Filmstarts-Kritik zu Casablanca (2024)

Kritik der FILMSTARTS-Redaktion

5,0

Meisterwerk

Casablanca

Von Ulrich Behrens

„You just remember this, a kiss is still a kiss,

A sigh is just a sigh, the fundamental things apply,

As time goes by.

And when two lovers woo, they still say ›I love you‹,

On that you can rely, no matter what the future brings,

As time goes by.

Moonlight and love songs never out of date,

Hearts full of passion, jealousy and hate.

Woman needs man and man must have his mate,

That no one can deny.

It’s still the same old story, a fight for love and glory,

A case of do or die, the world will always welcome lovers,

As time goes by.”

Vom 14.-24.1.1943 trafen sich der amerikanische Präsident Roosevelt und der britische Premierminister Churchill auf der sog. Casablanca-Konferenz, auf der beide die Landung der Alliierten auf Sizilien beschlossen – ein wichtiges Datum im Prozess der Bildung der Anti-Hitler-Koalition, dem die Konferenzen in Teheran, Jalta und Potsdam folgten. Und ganz nebenbei für Warner Brothers eine kostenlose Werbung für den Film von Michael Curtiz, der im Sommer 1942 an 50 Tagen in den Hollywood-Studios fertiggestellt worden war. Man verschob den Start des Films, an dessen Erfolg man nicht glaubte, für ein breites Publikum (Premiere war am 27.11.1942 in New York) in den Februar des Jahres 1943. Das deutsche Publikum sah „Casablanca” erst 1952 – in einer völlig verfälschten, um 24 Minuten gekürzten Fassung, in der aus dem Widerstandskämpfer Laszlo ein norwegischer Atomphysiker wurde und die Figur des Major Strassers fehlte. Erst in den 70er Jahren wurde der Film in seiner ursprünglichen Version und neu synchronisiert in deutschen Kinos und im Fernsehen wieder gezeigt

Der Regisseur von „Casablanca” Michael Curtiz (1886-1962) war ein vielbeschäftigter Mann in den Filmstudios zwischen den 30er und 60er Jahren. 1938 drehte er mit Errol Flynn, Olivia de Havilland und Basil Rathbone „Die Abenteuer des Robin Hood”, drei Jahre später „Der Seewolf” mit Edward G. Robinson, Ida Lupino und John Garfield. Auch „Die Abenteuer des Huckleberry Finn” verfilmte Curtiz mit Tony Randall 1960, zwei Jahre zuvor „King Creole” mit Elvis Presley und Walter Matthau. In seinem letzten Film „Die Comancheros” (1961) spielten John Wayne, Stuart Whitman und Lee Marvin die Hauptrollen.

„Casablanca” aber war wohl Curtiz erfolgreichster Film, ein zeitloses Drama.

1941 ist Casablanca ein Treffpunkt für Flüchtlinge. Aus allen Teilen Europas strömen Verfolgte, aber auch kleine und größere Ganoven, Spieler, Trinker in die nordafrikanische Stadt, die von Vichy-Frankreich verwaltet wird – jenem erbärmlichen Rest-Frankreich von Hitlers Gnaden. Ein Treffpunkt all dieser Menschen ist Ricks „Café Américain”, das dem Einzelgänger Richard Blaine (Humphrey Bogart) gehört. Rick will mit Politik nichts zu tun haben. Deutlich sagt er jedem, das er sich nur für sich selbst interessiert. Rick ist „neutral”, auch wenn er im spanischen Bürgerkrieg gegen Franco gekämpft hat und in Äthiopien als Waffenschmuggler für die Widerstandskämpfer tätig war. Zu seinen Gästen gehört u.a. der französische Polizeipräfekt Renault (Claude Rains). Renault ist nicht neutral, er ist Opportunist. Wenn er heute für die Nationalsozialisten arbeiten soll, dann tut er dies. Wenn er morgen für die Alliierten arbeiten müsste, würde er es ebenso tun.

Nachdem zwei deutsche Kuriere auf dem Weg nach Casablanca ermordet und ihnen dabei Ausreisevisa gestohlen werden, vermuten die deutschen Behörden den tschechischen Widerstandskämpfer Victor Laszlo (Paul Henreid) hinter dem Anschlag. Laszlo ist den Nazi-Behörden schon mehrmals entwischt, zuletzt aus einem Konzentrationslager. Visa bedeuten in Casablanca die Flucht vor dem Tod. Wer ein Visa besitzt, kann nach Lissabon und von dort in die USA ausreisen und den NS-Schergen entkommen.

Tatsächlich taucht Victor Laszlo mit seiner Frau Ilsa Lund (Ingrid Bergman) in Casablanca auf – und kurz vorher Major Strasser (Conrad Veidt) mit seinem Gefolge, der Laszlo endlich zur Strecke bringen will. Renault soll ihm dabei helfen. Und Renault vermutet richtig, dass kein anderer als Rick die gestohlenen Visa in seinem Besitz hat. Die wurden ihm von Ugarte (Peter Lorre) zur Aufbewahrung übergeben. Als Ugarte sich seiner Verhaftung entziehen will, wird er festgenommen und später getötet.

Rick gefällt diese Situation überhaupt nicht. Doch es kommt noch schlimmer. Denn Rick kennt Ilsa Lund aus Paris. Kurz vor der Einnahme der französischen Hauptstadt durch die deutschen Truppen verliebten sich Rick und Ilsa ineinander. Ilsa dachte, ihr Mann sei tot, im KZ ermordet worden. Damals hatte sie Rick nichts von ihrer Vergangenheit und ihrer Ehe mit Laszlo erzählt. Aber kurz bevor beide mit dem Zug nach Marseille der Gestapo entkommen wollten, hatte sie erfahren, dass Victor aus dem Konzentrationslager entkommen war und sich in der Nähe von Paris aufhielt. Rick wartete vergeblich am Bahnhof auf Ilsa. In einem kurzen Brief schrieb sie ihm, dass sie nicht mitkommen könne.

Als Rick Ilsa in Casablanca wiedersieht, ist er wütend und enttäuscht. Und außerdem passt es ihm gar nicht, in die Konflikte zwischen Laszlo und der Gestapo hineingezogen zu werden. Er weigert sich trotz Ilsas inständigem Bitten, Victor die Papiere zu verkaufen ...

„Casablanca”, der Film, das ist im wahrsten Sinn des Worts der Treffpunkt der Verfolgten und derjenigen, die sie aufgenommen haben. Vor den Nationalsozialisten nach Amerika geflohene Schauspieler wie Peter Lorre, Conrad Veidt, Paul Henreid und Curt Bois treffen sich in diesem Film mit ihren amerikanischen, jüdischen, französischen Kollegen, drehen einen Film über eine Stadt und eine Zeit, mitten im Krieg, mit geringen Mitteln, mit wenig Hoffnung darauf, dass der Film einschlägt, drehen eine Geschichte über die unglückliche Liebe zweier so unterschiedlicher Menschen wie Rick und Ilsa, in einem Zustand der schier völligen Unsicherheit, was künftig passieren, wie weit Hitler gehen wird. Und das alles an einem Ort, an dem Tausende von Menschen nur auf eines hoffen: auf die Ausreise, auf Papiere, Menschen, die nicht zurück können, die meist nicht weg dürfen und die ebensowenig bleiben sollen, den Tod permanent als drohenden Begleiter. Casablanca ist der Ort der displaced persons.

In Casablanca, einem Pulverfass, kulminieren die größten Hoffnungen, die bittersten Enttäuschungen, ein Hexenkessel der Unsicherheit, an dem Rettung und Verderben so eng beieinander liegen, das es manche Menschen zerreißen möchte. Und trotz alledem oder gerade deswegen steht in Casablanca nichts still. Niemand ist nur das, als was er erscheint, Rick nicht nur der einsame Wolf in der Höhle des Löwen, mit der er nichts zu tun haben will, Renault nicht nur der skrupellose Opportunist, Laszlo nicht nur der Widerstandskämpfer und Ilsa Lund nicht ausschließlich die Hin- und Hergerissene zwischen ihrem Mann und Rick, den sie noch immer liebt.

Die Konfliktlinien sind deutlich ausgemacht, als Laszlo und Ilsa in Casablanca ankommen. Rick liebt sie, Ilsa ist seine einzige Liebe gewesen. Und das wiederum verbindet ihn unweigerlich mit Laszlo. Diese Verbundenheit zerrt ihn in die Schusslinie von Renault und Strasser. Rick ist das, was er nicht (mehr) sein will: verantwortlich. Die Entwicklung, die Ilsa, Rick und Victor in „Casablanca” durchlaufen, inszenierte Curtiz in einer beispielhaften Weise und auf eine zutiefst unmelodramatische Art (obwohl sich vieles melodramatisch anfühlt), ja oft mit Humor. Als Strasser Rick fragt: „What is your nationality”, antwortet Rick „I’m a drunkard”. Und nach seiner Überzeugung gefragt: „I stick my neck out for nobody.” Als er Sam (Dooley Wilson) „As Times Goes By” spielen hört, verbietet er ihm, das Lied zu spielen. Doch Rick, der versucht, seine Erinnerungen an Ilsa zu verdrängen, ist verloren. Am Schluss, als Laszlo und Ilsa abfliegen, ist Rick ein Held, der sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hat, um beiden die Flucht zu ermöglichen. Renault rettet wiederum Rick das Leben.

Alle, Bogart, die Bergman, Rains, spielen ihre Rollen, als wüssten sie nicht, wie die Geschichte ausgeht. Das ist phantastische Schauspielerei, wirkliche Kunst. Ich habe Ingrid Bergman, trotz all ihrer guten Filme, nie wieder in einer so überzeugenden Rolle gesehen. Wie man so sagen könnte: Sie ist diese Ilsa Lund. Etwas ähnliches gilt für den Trinker, den Egoisten, den Einzelgänger, den Zyniker Rick alias Humphrey Bogart. Je mehr man über Jahre hinweg diesen Film immer wieder sieht, so näher rücken einem die Geschichte, die Figuren, die Gefühle, die in dem grandiosen Song „As Times Goes By” konzentriert ans Herz gehen und doch zugleich an den Verstand appellieren. Ja, „Casablanca” ist auch ein Melodrama, aber eines, das die Wirklichkeit geschrieben hat.

Casablanca ist Symbol für einen Ort, der unabhängig vom konkreten Filmgeschehen und den zeitlichen Umständen, existiert, und das macht einen Film zeitlos, der für viele in den Zeiten des Krieges vielleicht vor allem ein Liebesfilm und ein „antifaschistischer Propagandafilm” war. Er umfasst das Gefühl des Wartens in einer Welt, in der sich der Schrecken, der Horror, die Verzweiflung, der Tod in einer „sozialen Maschinerie” konzentriert hat, die scheinbar unaufhaltsam alles in Trümmer legen wird. Ricks „Café Américain” ist insofern vielleicht eben nicht nur Fluchtpunkt, sondern auch Zeichen einer anderen Welt. Die Figuren in diesem Film – abgesehen von Major Strasser, der nichts als ein Rädchen in der Maschinerie darstellt – sind nicht nur Betrüger, Einzelgänger, Diebe (wie Curt Bois, zuletzt übrigens zu sehen in „Der Himmel über Berlin”, 1987), Schwarzmarkthändler. Sie sind – abseits aller Fehler, charakterlicher Mängel usw. – miteinander verbunden – entgegen den skrupellosen Erwartungen ihrer Verfolger.

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